Brasilien: Gescheiterte Covid-19-Bekämpfung führt zu humanitärer Katastrophe

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) fordert die brasilianische Regierung dringend zu entschlossenen Massnahmen gegen die Covid-19-Pandemie auf. Fehlender politischer Wille sei für Tausende Tote verantwortlich, sagten Vertreter der Organisation am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie gebe es keine effiziente und koordinierte Reaktion auf die Gesundheitskrise. Brasilien verzeichnet derzeit 26 Prozent der weltweiten Covid-19-Todesopfer, bei einem Bevölkerungsanteil von nur 3 Prozent und einem Anteil an den Covid-19-Infektionen von 11 Prozent. Am 8. April erreichte die Zahl der Todesopfer pro Tag den bisherigen Höchstwert von 4‘249.

„Die brasilianischen Behörden haben der ungebremsten Ausbreitung von Covid-19 seit einem Jahr einfach zugesehen", sagt Christos Christou, internationaler Präsident von MSF. „Ihre Weigerung, faktenbasierte Massnahmen für die öffentliche Gesundheit umzusetzen, hat viel zu viele Menschen zu früh zu Tode kommen lassen. Die Reaktion auf Covid-19 in Brasilien muss dringend verbessert und an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst werden, um weitere vermeidbare Todesfälle und den Zusammenbruch des einst so angesehenen brasilianischen Gesundheitssystems zu verhindern."

In der vergangenen Woche waren die Intensivstationen in 21 der 27 Hauptstädte der Bundesstaaten voll. Landesweit gibt es in den Spitälern Engpässe beim überlebenswichtigen Sauerstoff sowie bei Betäubungsmitteln, die für lebensgefährlich erkrankte Patientinnen und Patienten gebraucht werden. Die MSF-Teams haben Menschen mit Überlebenschancen sterben sehen, weil sie nicht die notwendige medizinische Hilfe erhielten.

„Die katastrophale Situation, die unsere Teams zunächst im Amazonasgebiet erlebten, ist mittlerweile im grössten Teil Brasiliens Realität geworden“, sagt Pierre Van Heddegem, MSF-Einsatzleiter für die Covid-19-Hilfe in Brasilien. „Die fehlende Planung und Koordination zwischen Gesundheitsbehörden auf nationaler, föderaler und lokaler Ebene hat tödliche Konsequenzen. Patientinnen und Patienten sterben ohne Zugang zu medizinischer Hilfe und das Gesundheitspersonal ist erschöpft. Es leidet aufgrund der Arbeitsbedingungen unter ernsten psychologischen und emotionalen Belastungen.“

Insbesondere die vielen zirkulierenden Falschinformationen treiben Erkrankungen und Todesfälle in die Höhe. Massnahmen wie Maskentragen, Abstandhalten und Bewegungseinschränkungen werden nicht beachtet und politisiert. Darüber hinaus werden das Malariamittel Hydroxychloroquin und das Anitparasitikum Ivermectin von Politikern als Allheilmittel gegen Covid-19 angepriesen und von Ärztinnen und Ärzten sowohl als Covid-19-Prophylaxe als auch als Behandlung verschrieben.

Ein weiteres Problem ist der Mangel an Gesundheitspersonal. Weder ausländisches Gesundheitspersonal noch Brasilianerinnen und Brasilianer mit im Ausland erworbenen Qualifikationen dürfen in Brasilien arbeiten. Zudem läuft die Covid-19-Impfkampagne in Brasilien nur mit halber Geschwindigkeit, obwohl Brasilien 2009 in nur drei Monaten 92 Millionen Menschen gegen die Schweinegrippe geimpft hat. Bislang haben nur etwa elf Prozent der Menschen mindestens eine Dosis erhalten.

Teams von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) waren seit dem Ausbruch von Covid-19 in acht brasilianischen Bundesstaaten tätig und haben über 50 Gesundheitseinrichtungen ausgeholfen. Derzeit unterstützen die Teams lokale Behörden bei der Versorgung von Covid-19-Patientinnen und Patienten im Norden Brasiliens, in den Bundesstaaten Rondônia, Roraima und Amazonas.

 

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Lukas Nef Communications Officer, Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF)
Lukas Nef Communications Officer, Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF)
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