Die europäischen Regierungchefs müssen sofort dafür sorgen, dass die 104 Überlebenden an Bord der Ocean Viking endlich sicher an Land gehen können

Die europäischen Regierungchefs müssen sofort dafür sorgen, dass die 104 Überlebenden an Bord der Ocean Viking endlich sicher an Land gehen können

SOS MEDITERRANEE und Ärzte ohne Grenzen fordern die europäischen Staats- und Regierungschefs mit Nachdruck dazu auf, die Ausschiffung von 104 Seenot-Überlebenden an Bord des Rettungsschiffes Ocean Viking zu ermöglichen. Die beiden humanitären Hilfsorganisationen warten seit Tagen auf die Zuweisung eines sicheren Hafens für die Ocean Viking, die zwischen Italien und Malta in internationalen Gewässern gestrandet ist. Außerdem müsse endlich ein berechenbarer und koordinierter Mechanismus für das Ausschiffen von Geretteten eingeführt werden. Die 104 Menschen hatte die Crew der Ocean Viking bereits vor zehn Tagen in internationalen Gewässern vor Libyen aus Seenot gerettet.

„In den letzten vier Monaten trafen sich mehrere europäische Staats- und Regierungschefs erst in Paris, dann in Malta und schließlich in Luxemburg, um einen Mechanismus für die temporäre Ausschiffung und Verteilung von Menschen, die im zentralen Mittelmeer aus Seenot gerettet wurden, einzurichten", sagte Louise Guillaumat, stellvertretende Direktorin der Projektarbeit von SOS MEDITERRANEE. „Heute werden wieder 104 Überlebende in unerträglicher Unsicherheit auf dem Deck eines Rettungsschiffes allein gelassen. Wann sie an Land gehen können, ist völlig offen. Diese Ungewissheit verschlimmert ihr Leid noch mehr, das sie gerade überlebt haben, nachdem sie aus Seenot gerettet wurden. Europa kann und sollte mehr Solidarität mit seinen Küstenstaaten zeigen", fügte sie hinzu.

Unter den 104 Menschen, die von der Crew der Ocean Viking am 18. Oktober 2019 gerettet wurden, befinden sich zwei schwangere Frauen und 41 Kinder. Die jüngsten von ihnen sind gerade einmal elf und zwei Monate alt, einer von ihnen wurde nach Angaben der Mutter in einem Gefangenenlager in Libyen geboren. Die große Mehrheit (76 Prozent) der Minderjährigen gibt an, unbegleitet ohne Elternteil oder Vormund zu reisen. Viele der Überlebenden berichten, dass sie mehrere Jahre lang in Libyen gefangen waren. Einige geben an, sie seien wegen der aktiven Kämpfe im Land geflohen, die im April dieses Jahres begannen.

„Jeder Patient, der bisher in der medizinischen Station an Bord der Ocean Viking untersucht wurde, hat berichtet, dass er irgendwann auf seiner Reise Gewalt beobachtet habe oder selber davon Opfer wurde. Frauen haben unserem Ärzteteam erzählt, dass sie wegen Zwangsheirat, weiblicher Genitalverstümmelung oder sexueller Gewalt aus ihren Heimatländern geflohen sind", sagte Michael Fark, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen. „Es ist inakzeptabel, dass diese schutzbedürftigen Menschen seit zehn Tagen nicht nur die Elemente auf offener See ertragen müssen, sondern auch die Unsicherheit, nicht zu wissen, was mit ihnen geschehen wird. Diese lange und unnötige Zeit auf See muss beendet werden. Wir fordern die europäischen Staats- und Regierungschefs auf, ihren Prinzipien gerecht zu werden und den Überlebenden zu ermöglichen, endlich sicher an Land gehen zu können“, so Fark.

Während die Ocean Viking gestrandet ist, werden im zentralen Mittelmeer neue Notfälle gemeldet. Am Wochenende gab es gleich zwei Einsätze von Rettungsschiffen, darunter einer durch die Alan Kurdi der deutschen Seenotrettungsorganisation Sea-Eye. Wie so oft im vergangenen Jahr scheint diese Rettung in einem verwirrenden Kontext mit den zuständigen Behörden durchgeführt worden zu sein.

Bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, starben allein in diesem Jahr mindestens 692 Menschen. Rettungsschiffe dürfen nicht durch unnötig langes Blockieren auf See verzögert oder an ihren lebensrettenden Aktivitäten gehindert werden.

Ein Treffen der EU-Minister in Luxemburg im Oktober soll zu einer Einigung über ein sechsmonatiges „Pilotprojekt" mit sieben Mitgliedstaaten geführt haben. Dies sind sieben Länder weniger als das ursprüngliche Ziel von vierzehn Ländern, das auf einem vorhergehende Treffen im Juli in Paris angekündigt worden war. Im Oktober gab es vielversprechende Anzeichen für den Beginn eines Ausschiffungssystems, das auf der Einhaltung des Völkerrechts beruht. Kurz nach diesem Treffen konnten 176 Personen in Taranto, Italien, innerhalb von 26 Stunden nach der Rettung von Bord der Ocean Viking gehen. Doch weniger als eine Woche später ist die Ocean Viking nun wieder ohne einen sicheren Ort gestrandet.

„Die derzeitige Situation der Ocean Viking zeigt, wie anfällig das angekündigte EU-Pilotprojekt zur Ausschiffung ist. Die Rückkehr zu den einmaligen ad hoc-Ansätzen der letzten 16 Monate ist ein Rückschritt. Unnötige Pattsituationen werden nur dann ein Ende haben, wenn eine breitere Koalition von willigen europäischen Ländern zusammenkommt. Dabei müssen die Länder, in denen die Menschen an Land gehen dürfen, ohne weitere Verzögerung unterstützt werden", forderte Louise Guillaumat.

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Hintergrund:

Am 18.10.2019 rettete die Ocean Viking 104 Menschen aus Seenot von einem Gummiboot, 50 Seemeilen vor der libyschen Küste. Das in Seenot geratene Boot war an Bord durch ein Fernglas gesichtet worden.

Der Ocean Viking beantragte kurz darauf bei den zuständigen Seebehörden einen sicheren Ort. Die Libysche Gemeinsame Rettungskoordinationsstelle (JRCC) nannte den Hafen von Tripolis am Tag der Rettung als sicheren Ort. Dies konnte die Ocean Viking nicht akzeptieren. Kein Hafen in Libyen kann nach dem Völkerrecht als sicher angesehen werden.

Am 20.10.2019 forderte der Ocean Viking die italienischen und maltesischen Koordinierungszentren für die Rettung auf See (MRCCs) auf, sich mit den am besten geeigneten MRCCs abzustimmen, um das Ausschiffen so früh wie möglich zu erleichtern. Seitdem wurde der Ocean Viking kein sicherer Ort zugewiesen.

 

Copyright Foto: Hannah Wallace Bowman/ MSF

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Lukas Nef Communications Officer, Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF)
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