Gaza – Ärzte ohne Grenzen fordert Schweiz zum Handeln auf: Alle roten Linien wurden überschritten
Genf, 5. Juni 2025 – Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) hat heute Morgen auf dem Place des Nations in Genf Bundesrat Ignazio Cassis – Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten – dazu aufgefordert, die Militarisierung der humanitären Hilfe zu verurteilen. Mit den anhaltenden Angriffen auf Zivilpersonen und Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen wurden mittlerweile sämtliche roten Linien überschritten.
In einer symbolischen Aktion bildeten Freiwillige von Ärzte ohne Grenzen eine rote Linie und prangerten damit die massiven Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht in Gaza an. Die Aktion richtet sich gegen die zunehmende Instrumentalisierung der humanitären Hilfe – und gegen die bedenkliche Untätigkeit der Schweizer Regierung angesichts dieser humanitären Katastrophe. Dabei ist die Gaza Humanitarian Foundation auch in der Schweiz registriert.
«Wir möchten Bundesrat Cassis und die übrigen Mitglieder des Bundesrates dazu einladen, sich persönlich die Berichte unserer medizinischen Teams vor Ort anzuhören», erklärt Micaela Serafini, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen Schweiz. «Diese Teams kümmerten sich um zahlreiche Menschen, die im Gedränge und der Gewalt rund um die Verteilung von Hilfsgütern verletzt wurden. Da die Blutbanken nahezu leer sind, mussten medizinische Mitarbeitende selbst Blut spenden, um das Leben von schwer verletzten Menschen zu retten, die nur eines wollten: ihre Kinder ernähren. Viele von ihnen kehrten trotzdem mit leeren Händen zurück.»
24 Staaten haben die Instrumentalisierung von humanitärer Hilfe durch Israel unlängst klar verurteilt. Die Schweiz hat sich diesbezüglich bis jetzt nicht geäussert und kommt somit ihrer Verantwortung nicht nach.
«Dieses neue Hilfesystem ist nicht nur ineffektiv, sondern auch gefährlich und entmenschlichend. Es hat bereits zahlreiche zivile Opfer gefordert. Die tragischen Vorfälle vom 27. Mai sowie vom 1. und 3. Juni sind ein Beleg dafür», erklärt Stephen Cornish, Generaldirektor von Ärzte ohne Grenzen Schweiz. «Wir lehnen die Militarisierung der Nothilfe entschieden ab – sie widerspricht den Grundprinzipien der humanitären Arbeit. Humanitäre Hilfe darf nie Teil einer militärischen oder politischen Strategie sein, sondern muss sich allein an den Bedürfnissen der betroffenen Bevölkerung orientieren. Wir weisen darauf hin, dass ein solcher Einsatz humanitärer Hilfe zu militärischen Zwecken als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet werden kann», sagt Cornish weiter.
Die wenigen hundert Lastwagen mit Lebensmitteln, die seit dem 19. Mai in den Gazastreifen gelassen wurden, sind kaum mehr als ein symbolischer Akt. Für über zwei Millionen Menschen, die seit Monaten ohne grundlegende Versorgung auskommen müssen, bedeutet das vor allem Frustration und Verzweiflung. Seit der vollständigen Abriegelung durch die israelischen Behörden am 2. März 2025 droht laut den Vereinten Nationen der gesamten Bevölkerung Gazas eine Hungersnot. Mit der kompletten oder teilweisen Blockade der humanitären Hilfe haben sich die Lebensbedingungen der Menschen in Gaza dramatisch verschlechtert.
Nur ein dauerhafter Waffenstillstand und die sofortige Öffnung der Grenzübergänge für humanitäre Hilfe – insbesondere für Nahrungsmittel, medizinisches Material und Treibstoff – können diese menschengemachte Katastrophe lindern.
Alessia Neuschwander