Gaza: Ärzte ohne Grenzen startet Info-Portal «Inside the war»
Auf der Online-Plattform gazainsidethewar.com finden sich allgemeine Informationen und Aussagen von Augenzeug:innen, die von Teams der Organisation zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 1. Februar 2025 gesammelt wurden. Ein besonderer Fokus liegt auf der Dokumentation der Angriffe auf das Gesundheitssystem und auf humanitäre Helfer:innen.
Die Zerstörung lebenswichtiger ziviler Infrastruktur, darunter zahlreiche Gesundheitseinrichtungen, sowie die systematische Verweigerung humanitärer Hilfe haben die Lebensgrundlagen in Gaza weitgehend zunichte gemacht.
Die Beobachtungen von Ärzte ohne Grenzen vor Ort decken sich mit den Bewertungen einer wachsenden Zahl von Rechtsexpert:innen und Organisationen, dass es im Gazastreifen zu ethnischen Säuberungen kommt und es Anzeichen für einen Genozid gibt.
Die israelischen Behörden müssen die Blockade des Gazastreifens beenden und wichtige Landgrenzen öffnen, darunter den Grenzübergang Rafah. Nur so kann dringend benötigte humanitäre und medizinische Hilfe in grossem Umfang gewährleistet werden.
Ärzte ohne Grenzen fordert die engsten Verbündeten des Landes dazu auf, ihrer Verpflichtung zur Verhinderung eines Völkermords in Gaza nachzukommen. Die Staaten müssen ihren Einfluss geltend machen, um das Leiden der Bevölkerung zu lindern und eine massive Ausweitung der humanitären Hilfe im Gazastreifen zu ermöglichen.
Im Gazastreifen haben viele Menschen grossflächige Verbrennungen erlitten, die bis zu 40 Prozent ihrer Körperoberfläche bedecken. Diese Verbrennungen sind meist eine Folge von Sprengkörper-Explosionen oder aber Unfällen, die der Tatsache geschuldet sind, dass die Menschen unter freiem Himmel am offenen Feuer kochen müssen. Nach der Vielzahl von Angriffen der israelischen Streitkräfte in den vergangenen 19 Monaten gibt es für diese Patient:innen kaum noch Behandlungsmöglichkeiten. Viele von ihnen müssen unerträgliche Schmerzen ertragen, ohne dass ihnen geholfen werden kann.
Im August 2024 erlitt der 17 Jahre alte Tayseer Mansour bei einem israelischen Angriff auf sein Haus schwere Verbrennungen am ganzen Körper. Seine Mutter kam ums Leben, sein Vater und seine Brüder wurden verletzt. Er wird von Teams von Ärzte ohne Grenzen im Nasser-Spital in Khan Younes im Süden des Gazastreifens behandelt.
«Ich wurde schwer verletzt und erlitt Verbrennungen dritten Grades. Ich bin jetzt seit mehr als 150 Tagen stationär in Behandlung. Ich kann meine Hände nicht mehr bewegen, es ist sehr schmerzhaft», sagt Mansour. «Ich kann nicht selbstständig essen und auch sonst kaum etwas tun. Das hat mich sehr mitgenommen. Ich hoffe, dass ich mich wieder erhole.»
Seit die israelischen Streitkräfte am 18. März die Angriffe wieder aufgenommen haben, verzeichnen die Teams von Ärzte ohne Grenzen einen Anstieg der Zahl der Patient:innen mit Verbrennungen – die meisten davon sind Kinder. Im laufenden Monat behandelten unsere Teams in der von Ärzte ohne Grenzen betriebenen Klinik in Gaza-Stadt täglich durchschnittlich mehr als 100 Patient:innen mit Verbrennungen und Verletzungen. Im Nasser-Spital, dem grössten noch funktionierenden Spital im Gazastreifen, haben Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen seit Mai 2024 über 1000 Verbrennungsopfer operiert, 70 Prozent davon waren Kinder, die meisten unter fünf Jahren. Viele dieser Kinder wurden durch Bombenexplosionen verletzt, andere durch kochendes Wasser oder Brennstoffe, die zum Kochen oder Heizen in Notunterkünften verwendet wurden.
Schwere Verbrennungen erfordern eine komplexe und langfristige Versorgung, darunter mehrere Operationen, tägliche Verbandwechsel, Physiotherapie, Schmerztherapie, psychologische Betreuung und eine sterile Umgebung, um Infektionen zu verhindern. Da jedoch seit mehr als 50 Tagen aufgrund der Blockade keine Lieferungen nach Gaza gelangen, gehen den Teams von Ärzte ohne Grenzen selbst grundlegende Schmerzmittel aus, sodass die Patient:innen keine ausreichende Schmerzlinderung erhalten. Gleichzeitig sind seit Beginn des Krieges nur sehr wenige Chirurg:innen in Gaza in der Lage, komplexe plastische Operationen zur Behandlung von Verbrennungen durchzuführen.
«Die Kinder schreien, wenn wir gezwungen sind, verbranntes Gewebe von ihrer Haut abzuziehen», sagt Ahmad Abu Warda, der medizinische Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen im Nasser-Spital. «Sie flehen uns an, aufzuhören, aber wenn wir das abgestorbene Gewebe nicht entfernen, können Infektionen oder eine Sepsis zum Tod führen. Ohne ausreichende medizinische Versorgung und mit einer zu hohen Zahl an Patient:innen, die wegen Verbrennungen behandelt werden müssen, sind wir nicht in der Lage, eine angemessene Versorgung zu gewährleisten. Wir verzögern lediglich unvermeidliche Infektionen.»
Yvonne Eckert
Lukas Nef