Gaza: Doppelmoral und Untätigkeit der europäischen Regierungen verschärfen das Leid im Gazastreifen  

Durch die Doppelmoral und Untätigkeit der Europäischen Union (EU) und ihrer Mitgliedstaaten kann Israel das Massaker im Gazastreifen ungestraft fortsetzen, kritisiert Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) am Montag bei einer Pressekonferenz in Brüssel. Die Organisation fordert, dass unparteiische und bedarfsgerechte Hilfe in grossem Umfang in den Gazastreifen gelangt. Die Zivilbevölkerung muss geschützt und ein dauerhafter Waffenstillstand hergestellt werden. Die europäischen Regierungen müssen entschlossen darauf hinwirken. 

Die nun seit mehr als 20 Monaten andauernde Bestrafung der Palästinenser:innen im Gazastreifen durch israelische Behörden und Streitkräfte umfasst Zwangsvertreibungen und ethnische Säuberungen. Täglich sehen die Teams von Ärzte ohne Grenzen Anzeichen eines Völkermordes, da die israelischen Streitkräfte vorsätzlich handeln – einschliesslich massenhafter Tötungen, der Zerstörung lebenswichtiger ziviler Infrastruktur sowie Blockaden, die den Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten und anderen lebenswichtigen humanitären Gütern verhindern. Israel zerstört systematisch die Lebensbedingungen der Palästinenser:innen im Gazastreifen. Die Zerstörung der dortigen Häuser, Spitäler, Märkte, Wassernetze, Strassen und Stromnetze ist kein Kollateralschaden. Die Infrastruktur wird mit Absicht zerstört. 

«Der Krieg in Gaza ist einer der ungeheuerlichsten, tödlichsten und rücksichtslosesten Kriege unserer Zeit, der gegen ein Volk geführt wird», sagte Christopher Lockyear, der internationale Generalsekretär von Ärzte ohne Grenzen. «Er ist ein orchestriertes Massaker an der palästinensischen Bevölkerung und es findet eine gezielte ethnische Säuberung statt. Um dem Einhalt zu gebieten, braucht es politischen Mut, rechtliche Verantwortung und moralisches Engagement», sagte Lockyear. «Das Ausmass des Leidens in Gaza verlangt mehr als leere Rhetorik.»

Die EU und die europäischen Regierungen verfügen über die politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Mittel, um echten Druck auf Israel auszuüben. Damit könnten sie dafür sorgen, dass die Angriffe eingestellt und die Grenzübergänge des Gazastreifens für ungehinderte humanitäre Hilfe geöffnet werden. Dies sind keine theoretischen Instrumente. Sie können wirksam zur Verteidigung des Völkerrechts und zum Schutz der Zivilbevölkerung eingesetzt werden. ​ 

Humanitäre Hilfe wird in diesem Krieg als Waffe eingesetzt, als Druckmittel verwendet, an Bedingungen geknüpft oder ganz blockiert. Als Teil des Plans der USA und Israels, die humanitäre Hilfe im Gazastreifen zu instrumentalisieren, hat am 27. Mai die Gaza Humanitarian Foundation ihre Arbeit aufgenommen. Beim Versuch, an deren Verteilstellen Hilfen zu erhalten, sind Palästinenser:innen wiederholt unter Beschuss geraten. Es gab zahlreiche Tote; hunderte Menschen wurden so schwer verletzt, dass sie klinisch versorgt werden mussten. ​ 

«Das aufgezwungene System der Hilfslieferungen ist nicht nur ein Misserfolg, sondern auch entmenschlichend und gefährlich», kritisierte Lockyear. «Es setzt Tausende von Palästinenser:innen unnötigen Risiken aus und führt zu einem Blutvergiessen, das vermieden werden könnte, wenn humanitäre Organisationen die Möglichkeit hätten, unparteiisch und sicher Hilfe zu leisten, und zwar in dem Umfang, der in Gaza so dringend benötigt wird.»

Das Gesundheitspersonal im Nasser-Spital, das wichtigste Spital im südlichen Gazastreifen, kann aktuell aufgrund wiederholter Evakuierungsanordnungen und Bewegungseinschränkungen für Personal und Patient:innen kaum noch arbeiten. 

In den vergangenen Wochen haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen mehr als 500 Patient:innen aufgenommen, die medizinisch versorgt werden mussten, und gleichzeitig das medizinische Personal des Spitals dabei unterstützt, auf die hohe Zahl an Verletzten infolge der ständigen Bombardierungen und Angriffe zu reagieren. ​ ​ 

«Humanitäre Organisationen haben behelfsmässige Spitäler eingerichtet, um die Lücke zu schliessen, aber sie können reguläre Spitäler in keiner Weise ersetzen», sagte Lockyear. ​ 

«Die verbleibenden Spitäler müssen geschützt und der Zugang für Hilfsgüter erleichtert werden. Wenn dies nicht passiert, wird das noch mehr Menschenleben kosten. Ärzte ohne Grenzen fordert wiederholt, wie viele andere Organisationen auch, einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand, ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Dies umfasst auch die Forderung nach dem Schutz des medizinischen Personals und der medizinischen Einrichtungen», so Lockyear. 

Verschiedene Regierungen äussern sich besorgt über die schreckliche Situation in Gaza und fordern, dass das humanitäre Völkerrecht eingehalten wird. Zeitgleich liefern sie weiter die Waffen, die im Gazastreifen Kinder töten und verstümmeln.

«Was die Menschen in Gaza erleben, ist mehr als unerträglich: Es muss sofort aufhören», sagte Lockyear. «Jeder Tag, an dem das Blutvergiessen weitergeht, unterstreicht die Doppelmoral der EU-Staaten, die ihren Worten keine Taten folgen lassen.» ​ 

Seit Oktober 2023 wurden elf Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen im Gazastreifen getötet. In mindestens 50 Fällen erlebten Mitarbeitende der Organisation und Patient:innen Gewalt – darunter Luftangriffe auf Spitäler, Panzergranaten auf vereinbarte Notunterkünfte, Bodenoffensiven auf medizinische Zentren und Beschuss von Konvois. ​ Immer wieder waren sie gezwungen, Gesundheitseinrichtungen zu verlassen. 

Untenstehend finden Sie als PDF den heute veröffentlichten offenen Brief zum Download.

EU-Gaza Conference Open Letter (eng).pdf

PDF 88 KB

Alessia Neuschwander

Public Engagement Media Team, Médecins Sans Frontières (MSF)

 

 

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