Gaza: Hilfen werden instrumentalisiert, Gesundheitseinrichtungen geraten unter Beschuss

Die Hilfen, die derzeit in den Gazastreifen gelassen werden, sind völlig unzureichend. Sie sollen allein den Anschein vermitteln, die Blockade sei beendet. Gleichzeitig schränken Bodenoperationen, Luftangriffe und Evakuierungsanordnungen der israelischen Streitkräfte die Versorgung der Bevölkerung weiter ein.

«Nach monatelanger Abriegelung des Gazastreifens erlauben die israelischen Behörden nun Hilfslieferungen in lächerlich kleinem Umfang. Sie wollen sich offenbar nicht dem Vorwurf aussetzen, die Menschen im Gazastreifen auszuhungern, während sie sie gleichzeitig nur gerade so am Leben halten», sagt Pascale Coissard, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) in Chan Junis. «Es ist ein Versuch, Hilfe zu instrumentalisieren zur Erreichung der militärischen Ziele der israelischen Streitkräfte.»

Vor Oktober 2023 erreichten laut UN-Angaben täglich 500 Lastwagen mit Hilfsgütern den Gazastreifen. Die jetzt zugelassenen 100 Lastwagen pro Tag sind angesichts der katastrophalen Lage vollkommend unzureichend. 

Allein im Verlauf der vergangenen Woche wurden mindestens 20 medizinische Einrichtungen im Gazastreifen beschädigt. Manche von ihnen wurden vollständig, andere teilweise ausser Betrieb gesetzt. Die Menschen benötigen dringend medizinische Versorgung und Hilfe. Die israelischen Behörden müssen die Zerstörung des Gesundheitswesens stoppen. 

Während der massiven Angriffe auf Chan Junis am 19. Mai wurde auch das Gelände des Nasser-Spitals getroffen – bereits zum dritten Mal in zwei Monaten. Die Geschosse schlugen nur 100 Meter entfernt von der Intensivstation und der von Ärzte ohne Grenzen betriebenen stationären Abteilung ein. Die Ambulanz und unter anderem der Aufwachraum mussten vorübergehend geschlossen werden. Auch Physiotherapie und psychologische Betreuung mussten ausgesetzt werden. Diese Massnahmen können für Menschen mit schweren Verbrennungen, von denen besonders häufig Kinder betroffen sind, lebenswichtig sein. ​ ​ 

Der Zugang zu Gesundheitsversorgung wird für die Menschen immer schwieriger: Die Vorräte an medizinischen Gütern sind durch die Blockade fast aufgebraucht. Die Angriffe vom 19. Mai, bei denen auch die Apotheke des Gesundheitsministeriums im Nasser-Spital schwer beschädigt wurde, haben den Druck zusätzlich erhöht. Die im Zuge der Bodenoffensive erlassenen Evakuierungsanordnungen schränken die Möglichkeiten der Menschen ein, Hilfe zu erhalten. Auch machen sie es den Teams von Ärzte ohne Grenzen schwer, Hilfe zu leisten. ​ 

Aufgrund der Bombardierungen und Evakuierungsanordnungen der israelischen Streitkräfte in Chan Junis konnten die Mitarbeitenden von Ärzte ohne Grenzen nur noch lebensrettende Massnahmen in den Notaufnahmen der Gesundheitszentren Al-Attar und Al-Mawasi aufrechterhalten. Seit dem 19. Mai ist auch das Gesundheitszentrum Al-Hakker in Deir al-Balah geschlossen. Hier hatten die Mitarbeitenden von Ärzte ohne Grenzen täglich mehr als 350 Behandlungen durchgeführt, darunter kinderärztliche sowie vor- und nachgeburtliche Versorgung, psychologische Ersthilfe und ambulante Ernährungstherapie. Kurz zuvor, am 15. Mai, musste das Sheikh-Radwan-Gesundheitszentrum in Gaza-Stadt aufgrund einer Evakuierungsanordnung der israelischen Streitkräfte schliessen. Es war das letzte voll funktionstüchtige Gesundheitszentrum in der Gegend. Die Beschäftigen des Gesundheitsministeriums hatten hier mit Unterstützung von Ärzte ohne Grenzen in einem Einzugsgebiet mit ca. 250'000 Menschen über 3'000 Behandlungen pro Tag angeboten. ​ 

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind nun alle öffentlichen Spitäler im Norden des Gazastreifens ausser Betrieb. UN-Angaben zufolge gibt es derzeit im gesamten Gazastreifen noch etwa Tausend Spitalbetten – gegenüber 3'500 vor dem Krieg. ​ 

Die Angriffe auf die Zivilbevölkerung und das Gesundheitswesen müssen sofort aufhören. Hilfsgüter müssen in ausreichender Zahl nach Gaza gelassen werden – und zwar so, dass sie die notleidenden Menschen auch erreichen. Israels Verbündete sollten mit grösstem Nachdruck darauf bestehen, dass dies unverzüglich geschieht. ​ 

Alessia Neuschwander

Public Engagement Media Team, Médecins Sans Frontières (MSF)

 

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