Griechenland: Bericht von Ärzte ohne Grenzen zeigt Ausmass politisch verursachten Leids auf griechischen Inseln

Griechenland: Bericht von Ärzte ohne Grenzen zeigt Ausmass politisch verursachten Leids auf griechischen Inseln

Athen/Brüssel/Genf, 10. Juni 2021. Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) zeigt im Bericht „Constructing Crisis at Europe’s Borders“ das Ausmass des Leids auf den griechischen Inseln. Die Hilfsorganisation ruft die europäischen Länder inklusive der Schweiz auf, ihre Politik des Einschliessens und Abschreckens zu beenden, die die Gesundheit von Geflüchteten in den Geflüchtetenslagern bedroht. „Das sind keine unbeabsichtigten Folgen”, sagt Reem Mussa, humanitäre Expertin und eine der Autorinnen des Berichts. „Seit mehr als fünf Jahren erzeugt die Politik der europäischen Länder und der EU eine beispiellose Krise und enormes menschliches Leid.” Ärzte ohne Grenzen kritisiert insbesondere den aktuellen Plan, weitere Lager auf den Inseln zu errichten.

Ziel des EU-Modells der Lager an den Grenzen ist nicht nur, Asylanträge zu bearbeiten, sondern auch Migrant*innen davon abzuhalten, in Europa Zuflucht zu suchen. Menschen, die auf der Flucht Gewalt und Not erlebt haben, sitzen unter entsetzlichen Bedingungen fest, ohne zu wissen, wie es für sie weitergeht. Lebensnotwendige Güter werden vorenthalten. Auf Samos etwa gab es über ein Jahr lang nicht einmal sauberes Trinkwasser. Ärzte ohne Grenzen musste die Menschen mit Tanklastern versorgen. Das System gefährdet Menschenleben und höhlt das Recht auf Asyl aus.

Die Schweiz, obwohl kein Mitglied der EU, ist Teil der Dublin-Verordnung*, die die Zuständigkeiten für Asylanträge zwischen den europäischen Ländern regelt, und ist somit mitverantwortlich für die Schutzsuchenden an den Aussengrenzen Europas.

2019 und 2020 hat Ärzte ohne Grenzen in den psychologischen Kliniken auf Lesbos, Samos und Chios insgesamt 1‘369 Patient*innen behandelt. Viele zeigten schwere Krankheitsbilder wie eine posttraumatische Belastungsstörung. 180 Menschen, davon zwei Drittel Kinder, mussten wegen Selbstverletzungen und Suizidversuchen behandelt werden. Das jüngste Kind war sechs Jahre alt.

Patient*innen berichten, wie sie unter der dauerhaften Belastung leiden, dem Leben unter schwersten Bedingungen, komplizierten administrativen Abläufen und Asylprozeduren, Unsicherheit, Gewalt, Trennung von Angehörigen und der mangelnden Gesundheitsversorgung. Ärzte ohne Grenzen muss in den Lagern teilweise die medizinische Grundversorgung übernehmen. Die EU und die griechische Regierung verschärfen die Krise noch weiter, indem sie neue Aufnahme- und Identifizierungszentren an abgelegenen Orten auf den griechischen Inseln planen. Eines wird bereits auf Samos gebaut und könnte noch in diesem Monat in Betrieb genommen werden.

„Die EU behauptet, dass sie die Situation verbessern will, doch sie und die griechische Regierung geben Millionen Euro aus, um ihre Politik, die schon so viel Schaden angerichtet hat, noch weiter zu verschärfen”, sagt Iorgos Karagiannis, Landeskoordinator in Griechenland. „Das Lager Moria dient als Blaupause für das neue gefängnisähnliche Zentrum auf Samos. Dort sollen Menschen in Schiffscontainern festhalten werden, umgeben von Stacheldraht, mit kontrolliertem Ein- und Ausgang. Das kann man nicht als eine Verbesserung der Lebensbedingungen verkaufen. Stattdessen wird dieses neue Lager die psychische Gesundheit der Menschen weiter verschlechtern."

„Noch ist es nicht zu spät für Mitgefühl und gesunden Menschenverstand”, mahnt Reem Mussa. „Die EU und alle europäischen Staaten müssen sicherstellen, dass die Menschen, die in Europa ankommen, dringend benötigte Hilfe und Schutz erhalten. Zudem muss der Zugang zu Umsiedlungsprogrammen in sichere Aufnahmezentren und die Integration in die europäischen Länder erleichtert werden."

*Die Schweiz ist Teil der sogenannten Dublin-Verordnung, die die 27 Mitglieder der Europäischen Union einschliesslich Griechenland sowie Liechtenstein, Norwegen und Island umfasst. Diese legt fest, welcher Mitgliedsstaat für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist, so dass ein Antrag nur einmal innerhalb des Dublin-Raums geprüft wird – und dies meist in einem Staat an der Aussengrenze des Dublin-Raums wie Griechenland.

 

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Melina Stavrinos Team Media/Events, Médecins Sans Frontières
Etienne Lhermitte Media Officer, Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF)
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