Jemen: Gesundheitsversorgung unter Belagerung

Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat am 30. Januar einen Bericht zur medizinischen Versorgung in Kriegszeiten veröffentlicht. Der Schwerpunkt liegt auf der Situation in Tais, der drittgrössten Stadt im Jemen, die schwer vom dortigen Konflikt in Mitleidenschaft gezogen ist.

Der Bericht konzentriert sich auf die direkten tödlichen Folgen der Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Tais und den Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung in der geteilten Stadt, den Teams der internationalen Hilfsorganisation vor Ort beobachtet haben.

«Die verzweifelte Situation in Tais ist beispielhaft für das, was im ganzen Jemen passiert», sagt Karline Kleijer, Notfallmanagerin für den Jemen. «Die Kriegsparteien in Tais missachten regelmässig den Schutz von Zivilisten, Gesundheitseinrichtungen, medizinischem Personal und Patienten. Unsere Patienten auf beiden Seiten der Frontlinie berichten davon, wie sie bei der Zubereitung des Mittagessens bombardiert, auf dem Weg zu ihren Feldern durch Luftangriffe verwundet, beim Hüten ihres Viehs durch Minen verstümmelt oder auf den Strassen vor ihren Wohnungen von Scharfschützen getroffen wurden.» 

Angriffe auf Spitäler und medizinisches Personal

Das Gouvernement Tais liegt im Südwesten des Jemens und war Schauplatz einiger der erbittertsten Kämpfe seit Eskalation des Konfliktes im März 2015. Die Stadt Tais selbst ist durch die Fronlinie geteilt, seit fast zwei Jahren leben die Bewohner in ständiger Angst und grosser Not. Am Beispiel der Stadt ist klar ersichtlich, dass die Menschen im Jemen dringend mehr medizinische Hilfe benötigen, vor allem medizinische Grundversorgung.

Die Gesundheitsversorgung in Tais ist durch die Gewalt stark beeinträchtigt: Spitäler wurden wiederholt bombardiert und eines unserer mobilen medizinischen Teams bei einem Luftangriff getroffen. Krankenwagen wurden beschossen, beschlagnahmt oder Bewaffnete verschafften sich gewaltsam Zutritt. Medizinisches Personal wurde auf dem Weg zur Arbeit angegriffen, belästigt, festgehalten, bedroht und dazu gezwungen, unter vorgehaltener Waffe zu arbeiten. Viele medizinische Mitarbeiter nehmen grosse Risiken auf sich und müssen während der Arbeit um ihr Leben fürchten.

«Ich fühle mich nie sicher»

«Ob ich mich sicher fühle bei meiner Arbeit im Spital? Ich fühle mich nie sicher», sagt ein Mitarbeiter der Notaufnahme eines öffentlichen Spitals in Tais. «Medizinische Einrichtungen werden nicht respektiert. Unser Spital wurde viele Male ins Visier genommen und bombardiert. Die Angriffe sind eine grosse Belastung für die Patienten und das Personal.»

Zerstörte Spitäler sowie das Fehlen von Personal und grundlegenden Versorgungsgütern führen dazu, dass die Gesundheitsversorgung in Tais so gut wie zusammengebrochen ist. Viele Menschen haben keinen Zugang mehr zu lebensrettender medizinischer Hilfe.

Das lahmgelegte Gesundheitssystem und die zunehmend schweren Lebensbedingungen führen zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands, vor allem bei besonders gefährdeten Gruppen wie Schwangeren, Neugeborenen und kleinen Kindern. Die meisten Familien müssen mit wenig oder gar keinem Strom auskommen und haben nicht ausreichend Wasser und Nahrung. Viele sind vor den Kämpfen geflohen und leben nun in Notunterkünften oder überfüllten Gebäuden, oft ohne ausreichende Sanitäranlagen und Grundlegendes wie Matratzen, Decken oder Kochutensilien. Kostenlose medizinische Versorgung gibt es kaum, und eine private Versorgung kann extrem teuer sein, so dass sie von vielen Menschen erst dann in Anspruch genommen wird, wenn sie schon sehr krank sind und es zu spät sein könnte.

Hilfe für alle, die sie benötigen

Im Jahr 2016 haben unsere Teams in einem Mutter-Kind-Zentrum sowie auf Geburtsstationen in Tais geholfen und so mehr als 5’300 Geburten begleitet sowie mehr als 31’900 vorgeburtliche und 2’600 nachgeburtliche Sprechstunden abgehalten. Ausserdem haben sie mehr als 2’500 stark mangelernährte Kinder in unser therapeutisches Ernährungsprogramm aufgenommen. Seit dem Gewaltausbruch haben wir mehr als 10’700 Kriegsverletzte in Tais behandelt.

In dem Bericht wiederholt MSF den Aufruf an alle Konfliktparteien, den Schutz der Zivilbevölkerung und des medizinischen Personals zu gewährleisten und den Verletzten und Kranken Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Wir rufen ausserdem internationale Hilfsorganisationen und Geberländer dazu auf, ihre humanitäre Hilfe im Jemen auszuweiten und sicherzustellen, dass Hilfe bei allen ankommt, die sie benötigen.

Die schweren Bedingungen, die in dem Bericht dargestellt werden, gelten nicht nur für Tais. In allen zehn jemenitischen Gouvernements, in denen wir aktiv sind, erleben unsere Teams die gleichen Probleme. Die Menschen im Jemen werden zu Opfern der direkten und indirekten Folgen des zerstörerischen Konflikts. Der Zugang zu guter und bezahlbarer medizinischer Versorgung ist stark eingeschränkt, und nach fast zwei Jahren anhaltenden Konflikts schafft es die humanitäre und medizinische Hilfe noch immer nicht, die Grundbedürfnisse der Menschen zu decken.

Foto: Mohammed Sanabani/MSF

Kontakt
Etienne Lhermitte Communication Coordinator, Médecins Sans Frontières/ Ärzte Ohne Grenzen (MSF)
Sibylle Berger Press officer / Medienverantwortliche Deutschschweiz, Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF)
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Über Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF)

MSF ist eine unabhängige medizinische Hilfsorganisation. MSF hilft Menschen in Not, Opfern von Naturkatastrophen sowie von bewaffneten Konflikten - ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, religiösen oder politischen Überzeugung oder ihres Geschlechts.


1999 erhielt MSF den Friedensnobelpreis.

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