MSF nach der Verschiebung der WTO-Ministerkonferenz: «Angesichts der Millionen von Menschenleben, die auf dem Spiel stehen, kann es sich die Welt nicht leisten, noch mehr Zeit zu verlieren»

Genf, 29.11.2021 – Nach der Verschiebung der WTO-Ministerkonferenz verweist Ärzte ohne Grenzen/ Médecins Sans Frontières (MSF) auf die Dringlichkeit einer TRIPS-Ausnahmeregelung für den ungehinderten Zugang der Menschen zu Covid-19-Medizinprodukten.

Heute tagt der TRIPS-Rat der Welthandelsorganisation (WTO), nachdem die 12. Ministerkonferenz wegen des Auftretens einer neuen Virusvariante und der Änderung der Einreisebestimmungen für die Schweiz auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. MSF bedauert erneut den dogmatischen Widerstand einer Gruppe von Ländern mit hohem Einkommen, darunter die Schweiz, die Europäische Union und Grossbritannien, gegen einen seit 14 Monaten vorliegenden Antrag von Indien und Südafrika, geistige Eigentumsrechte auf alle medizinischen Produkte im Kampf gegen Covid-19 für die Dauer der Pandemie auszusetzen.

Da die Covid-19-Pandemie keine Anzeichen für ein Abklingen zeigt, auch nicht in Regionen mit ungehindertem Zugang zu Covid-19-Medizinprodukten und hohen Impfraten wie in Europa, ist es klar, dass der Zugang zu Covid-19-Medizinprodukten, einschliesslich Tests, Behandlungen und Impfstoffen, für alle und überall Vorrang haben muss.

«Das jüngste Auftauchen einer weiteren neuen, leichter übertragbaren Variante ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie dieses Virus weiter mutiert, vor allem, wenn es keinen gerechten Zugang zu den richtigen medizinischen Produkten gegen Covid-19 gibt», sagte Candice Sehoma, Impf-Expertin der Medikamentenkampagne von MSF in Südafrika. «Angesichts der Millionen von Menschenleben, die auf dem Spiel stehen, kann es sich die Welt nicht leisten, noch mehr Zeit zu verlieren. MSF fordert deshalb die Länder wie die Schweiz, die diese temporäre Ausnahmeregelung blockieren oder sie verwässern auf, ihre Hinhaltetaktik zu beenden und dringend Massnahmen zu ergreifen, um eine umfassende Ausnahmeregelung zu verabschieden, die eine diversifiziertere und breitere Produktion und Lieferung von Covid-19-Impfstoffen, Therapeutika und Diagnostika sowie anderen Gesundheitstechnologien ermöglicht», sagt Sehoma. «Die Ausnahmeregelung wird jetzt mehr denn je benötigt».

Mehr als 100 Länder unterstützen den Antrag. Dies zeigt, dass die Mehrheit aller Regierungen weltweit in der Annahme und Umsetzung des Vorschlags ein wirksames Instrument im Kampf gegen Covid-19 sehen.

«Jeden Tag sehen unsere Teams vor Ort, wie Menschen verzweifelt medizinische Produkte gegen Covid-19 bräuchten», sagt Reveka Papadopoulou, Präsidentin von MSF Schweiz. «Doch der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten, Diagnostika und Impfstoffen ist stark eingeschränkt. Dabei könnten diese medizinischen Hilfsmittel in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen im Kampf gegen die Pandemie einen enorm positiven Beitrag leisten. Dass einige Regierungen sich Initiativen wie der TRIPS-Ausnahmeregelung widersetzen, ist absolut frustrierend».

In den 14 Monaten seit der Vorschlag einer Aussetzung der TRIPS-Vereinbarung von Indien und Südafrika eingebracht wurde, um mehr Menschen den Zugang zu Covid-10 Medizinprodukten zu ermöglichen, sind über vier Millionen Menschen an Covid-19 gestorben. Über fünf Millionen starben weltweit seit dem Beginn der Pandemie.

Da der Zugang zu COVID-19-Impfstoffen weltweit nach wie vor sehr ungleich ist, bleibt der Zugang zu neuen Behandlungen und Tests, die die Zahl der Todesfälle verringern könnten, von entscheidender Bedeutung, stellt aber weiterhin eine Herausforderung dar. Diese Probleme werden noch dadurch verschärft, dass Pharmaunternehmen den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen nur ein begrenztes Angebot an medizinischen Hilfsmitteln zur Verfügung stellen und gleichzeitig wichtige Patente und andere geistige Eigentumsrechte besitzen, die die Produktion von Generika blockieren können.

Um eine grösstmögliche Wirkung zu erzielen, muss der endgültige Text der TRIPS-Ausnahmeregelung zudem sicherstellen, dass der Geltungsbereich über Impfstoffe hinausgeht und für alle wesentlichen medizinischen Technologien – einschliesslich Tests und Behandlungen – gilt. Ausserdem sollen alle Rechte des geistigen Eigentums und ihre Durchsetzung aufgehoben werden. Die Dauer der Ausnahmeregelung sollte mindestens fünf Jahre betragen, damit die Herstellung und Lieferung von Covid-19-Medizinprodukten ausgeweitet und aufrechterhalten werden können.

Anmerkung:

Nebst der Unterstützung des Vorschlags für eine TRIPS-Ausnahmeregelung fordert MSF die Regierungen auf, alle rechtlichen und politischen Instrumente zu nutzen, um eine ununterbrochene Produktion und ein vielfältiges Angebot an Covid-19-Medizinprodukten zu ermöglichen. Dazu gehört auch die vollumfängliche Nutzung der bestehenden TRIPS-Flexibilitäten zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. MSF fordert weiter alle Regierungen, welche über ausreichend Covid-19-Impfstoffdosen verfügen, dazu auf, überschüssige Dosen unverzüglich an die COVAX-Initiative oder an regionale Einrichtungen weiterzugeben sowie den WHO Covid-19 mRNA Vaccine Technology Transfer Hub finanziell und politisch zu unterstützen. Die Regierungen der USA und Deutschlands werden zudem dazu aufgefordert, Druck auf Pfizer-BioNTech und Moderna auszuüben, damit diese ihre Impfstofftechnologie und ihr Know-how an Hersteller in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen weitergeben.

Kontakt
Anna Bertschy Team Media/Events, Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF)
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