Schliessung der Dadaab-Flüchtlingslager: Nachhaltige Lösungen für Geflüchtete nötig

Schliessung der Dadaab-Flüchtlingslager: Nachhaltige Lösungen für Geflüchtete nötig

In wenigen Monaten sollen die Dadaab-Flüchtlingslager in Kenia schliessen. Bis dahin müssen dringend nachhaltige Lösungen für die betroffenen Frauen, Männer und Kinder her. Zu gross ist die Gefahr, dass sie bald komplett von den – wenn auch bescheidenen – humanitären Hilfsleistungen abgeschnitten sind, warnt die internationale medizinische Organisation Ärzte ohne Grenzen/ Médecins Sans Frontières (MSF).

Die Schliessung der Lager ist für Juni 2022 vorgesehen. «Dieser Zeitrahmen ist knapp. Doch er kann auch eine Chance sein, die Suche nach tragfähigen Lösungen für die Geflüchteten schneller voranzutreiben», erklärt Dana Krause, die Landeskoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Kenia. «Im Dadaab-Flüchtlingskomplex leben vorwiegend Geflüchtete aus Somalia. Viele von ihnen harren seit Jahrzehnten in den Lagern aus. Und jedes Jahr fällt die humanitäre Unterstützung, die sie erhalten, geringer aus. Auch ihre Aussichten auf ein Leben in Würde und Sicherheit sind äusserst begrenzt.»

In dem heute veröffentlichten Bericht «In Search of Dignity - Refugees in Kenya Face a Reckoning» fordert MSF Kenia und seine internationalen Partner auf, die im Global Compact on Refugees 2018 eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Geflüchtete aus Somalia sollen so die Möglichkeit erhalten, sich in die kenianische Gesellschaft zu integrieren oder in anderen Ländern Zuflucht zu finden.

Aus dem Bericht geht hervor, dass in den letzten drei Jahren immer weniger Somalier:innen freiwillig in ihre Heimat zurückkehren, was auf die zunehmende Gewalt, Vertreibung und Dürre in dem Land zurückzuführen ist. Gleichzeitig sind viele wohlhabende Länder kaum mehr gewillt, Menschen aus Somalia aufzunehmen. So bleibt jenen nichts anderes übrig, als in Kenia zu bleiben, wo ihre Rechte stark eingeschränkt sind. Die Geflüchteten in Dadaab dürfen derzeit beispielweise nicht ausserhalb der Lager arbeiten. Auch reisen und studieren ist untersagt.

Jüngst wurde in Kenia ein neues Flüchtlingsgesetz verabschiedet. Es könnte Geflüchteten eine bessere Integration ermöglichen. Dafür müssten die Regelungen jedoch breit implementiert werden und Geflüchtete aus sämtlichen Ländern miteinbeziehen – also auch Menschen aus Somalia.

«Kenia steht jetzt vor einer grossen Entscheidung: Es kann Geflüchtete weiter in die Prekarität abgleiten lassen. Es kann sich aber auch für ihre Rechte einsetzen und ihnen die Möglichkeit bieten, zu studieren, zu arbeiten und sich frei zu bewegen», so Krause. «Auch die Geberländer müssen in die Pflicht genommen werden. Wenn sie die Hilfsgelder für Kenia aufstocken, kann das Land den Zugang zu öffentlichen Diensten für Geflüchtete verbessern.»

Allein schon der Plan, die Lager zu schliessen, hat zu einer drastischen Abnahme der humanitären Hilfe geführt. Im September warnte das Welternährungsprogramm, die Verteilung von Lebensmittelrationen bis Ende dieses Jahres ganz einstellen zu müssen, sollten nicht bald mehr Mittel zur Verfügung stehen. 

«Wird das Lager geschlossen, ohne dass nachhaltige Lösungen für die Geflüchteten vorliegen, könnte das die nächste humanitäre Katastrophe herbeiführen», so Jeroen Matthys, der die Projekte von MSF in Dagahaley koordiniert. Dagahaley ist eines von drei Lagern in Dadaab. «Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Menschen während des gesamten Schliessungsprozesses Zugang zu humanitärer Hilfe erhalten, bis sie Gewissheit über ihre Zukunft haben und auf eigenen Beinen stehen können.»

«Reiche Länder missachten die Rechte von Geflüchteten seit Jahrzehnten. Kenia hingegen hat in all der Zeit Hunderttausende mit offenen Armen aufgenommen», so Krause weiter. «In diesem Jahr begehen wir den 70. Jahrestag der Flüchtlingskonvention. Diese Gelegenheit sollte Kenia nutzen, um das Ruder herumzureissen. Es braucht jetzt nachhaltige Lösungen, die die Interessen der Geflüchteten in den Mittelpunkt rücken.» 

MSF ist seit 30 Jahren in Dadaab tätig und leistet zurzeit die medizinische Versorgung im Lager Dagahaley. Hier führt die Organisation mit kenianischen Mitarbeiter:innen ein Spital mit 100 Betten. Im Spital wird eine ambulante und stationäre medizinische Betreuung, einschliesslich sexueller und reproduktiver Gesundheitsfürsorge, medizinische und psychologische Hilfe für Überlebende sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, psychische Gesundheit, häusliche Insulinversorgung und Palliativmedizin angeboten.

Unmittelbar nach dem Covid-19-Ausbruch richtete MSF im Lager Dagahaley eine Isolierstation ein und ergriff Massnahmen zur Gewährleistung einer angemessenen Infektionskontrolle in den bestehenden Gesundheitseinrichtungen des Lagers. MSF unterstützte auch die Bezirksregierungen in Garissa und Wajir, indem sie Schulungen für das Bezirks-Gesundheitspersonal organisierten und die Massnahmen zur Infektionsprävention in zwei Spitälern der Unterbezirke verstärkten.

2020 führte MSF in Dagahaley jeden Monat durchschnittlich 12'500 ambulante Konsultationen durch, nahm etwa 720 Menschen stationär auf und entband 2'956 Babys.

Fotos und Filmaufnahmen (B-Roll) finden Sie hier zum Download.

Den Bericht «In Search of Dignity - Refugees in Kenya Face a Reckoning» und das 4-seitige Überblickspapier (beide auf Englisch) finden Sie untenstehend ebenfalls zum Download.

Interviews mit der MSF-Landeskoordinatorin in Nairobi sind auch auf Deutsch möglich.

Kontakt
Anna Bertschy Team Media/Events, Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF)
Anna Bertschy Team Media/Events, Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF)
Über Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF)

MSF ist eine unabhängige medizinische Hilfsorganisation. MSF hilft Menschen in Not, Opfern von Naturkatastrophen sowie von bewaffneten Konflikten - ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, religiösen oder politischen Überzeugung oder ihres Geschlechts.


1999 erhielt MSF den Friedensnobelpreis.

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