Sudan: Menschen leiden unter extremer Mangelernährung
Menschen versuchen weiterhin, vor den Gräueltaten der Rapid Support Forces (RSF) in al-Faschir zu fliehen. Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) leistet in der 60 Kilometer entfernten Stadt Tawila dringend benötigte medizinische Hilfe für die Ankommenden und beobachtet dabei extreme Fälle akuter Mangelernährung.
Seit Monaten behandeln Teams von Ärzte ohne Grenzen in Tawila Patient:innen mit Mangelernährung, die aus al-Faschir geflohen sind. Mittlerweile sind die Zahlen erschreckend hoch. Von den Kindern unter fünf Jahren, die zwischen dem 27. Oktober (als die RSF die Kontrolle von al-Faschir übernahm) und dem 3. November in Tawila ankamen, waren mehr als 70 Prozent akut mangelernährt. 35 Prozent von ihnen waren schwer akut mangelernährt. Gleichzeitig waren 60 Prozent der 1’130 von Ärzte ohne Grenzen untersuchten Erwachsenen akut mangelernährt, 37 Prozent von ihnen schwer akut mangelernährt. Bei Schwangeren und Stillenden sind die Mangelernährungsraten sogar noch höher.
Die Zahlen von Ärzte ohne Grenzen decken sich mit dem kürzlich veröffentlichten IPC-Bericht, der eine Hungersnot im mehr als 500 Tage belagerten al-Faschir sowie für die Stadt Kadugli feststellte. 20 weitere Gebiete sind von einer solchen bedroht.
Überlebende, die in Tawila ankamen, berichteten, dass sie keinen Zugang zu Nahrungsmitteln hatten, da die Gemeinschaftsküchen geschlossen wurden, humanitäre Hilfe blockiert wurde und die Märkte beschossen und leergeräumt wurden. In ihrer Verzweiflung blieb den Menschen nichts anderes übrig, als auf Tierfutter zurückzugreifen.
Diejenigen, die versuchten, Lebensmittel nach al-Faschir zu bringen, wurden von den RSF erschossen. Ärzte ohne Grenzen befürchtet, dass viele Menschen in und um al-Faschir als Geiseln gehalten werden und nicht fliehen können. Die RSF und ihre Verbündeten müssen die Massengräueltaten sofort beenden und den Überlebenden einen sicheren Fluchtweg ermöglichen.
Auch wenn die Menschen es bis Tawila schaffen, ist ihre Not nicht vorbei. Seit Jahresbeginn litt die Hälfte der 6’500 Schwangeren, die Ärzte ohne Grenzen bei der Schwangerschaftsvorsorge behandelt hat, an akuter Mangelernährung, 15 Prozent an schwerer Mangelernährung und 35 Prozent an mittelschwerer Mangelernährung. Dadurch besteht für ihre Kinder ein hohes Risiko, untergewichtig oder mangelernährt zur Welt zu kommen.
Über al-Faschir hinaus haben Teams von Ärzte ohne Grenzen im gesamten Sudan in den vergangenen Monaten eine weit verbreitete Verschlechterung des Ernährungszustands von Kindern festgestellt. Die Krise wird durch mehrere Faktoren verschärft: unzureichende Ernährung, Krankheiten und unsichere Lebensbedingungen.
«Wir fordern alle Konfliktparteien auf, humanitären Organisationen sicheren und ungehinderten Zugang zu gewähren, damit sie ihre Hilfe ausweiten und zur Bewältigung dieser Krise beitragen können», sagt Myriam Laaroussi, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen.
Die Vertreibung von Menschen innerhalb des Sudan oder aus anderen Ländern ist ebenfalls ein Faktor bei der Entstehung von Mangelernährung. Im Bundesstaat Blauer Nil im Osten des Sudan hat die Ankunft sudanesischer Rückkehrer aus dem Südsudan seit Juni die knappen Ressourcen an ihre Grenzen gebracht. Tausende Familien leben in provisorischen Lagern nahezu ohne Zugang zu sauberem Wasser, Nahrungsmitteln oder hygienischen Einrichtungen. Das hat zu einem anhaltenden Cholera-Ausbruch und einer Welle vermeidbarer Todesfälle unter Kindern geführt. Zwischen Juli und September behandelte Ärzte ohne Grenzen 1’950 schwer mangelernährte Kinder im Lehrspital von Damazin. 100 Kinder starben, viele davon an einer Kombination aus Cholera und akuter Mangelernährung.
Selbst wenn Menschen nach ihrer Vertreibung in ihre Heimat zurückkehren können, stehen sie oft vor grossen Herausforderungen. Sie müssen Nahrung finden, sich diese leisten können oder Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Im Bundesstaat Khartum hat die Mangelernährung seit Juni zugenommen, da mehr als 700’000 Rückkehrer in vom Krieg zerstörte Stadtteile mit begrenztem Zugang zu Wasser und Gesundheitsversorgung zurückgekehrt sind.
Die humanitäre Hilfe in Khartum bleibt weiterhin weit hinter dem Bedarf zurück, da nur wenige Organisationen vor Ort sind und sowohl bei der Nothilfe als auch bei den längerfristigen Wiederaufbaumassnahmen grosse Lücken bestehen.
Alessia Neuschwander