Sudan: Zehntausend Menschen sind nach Angriffen auf das Samsam-Camp nach Tawila geflohen
Flashquote von Marion Ramstein, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Nord-Darfur
«Die Menschen im Vertriebenencamp Samsam in der Nähe von El Fasher wurden ausgehungert, beschossen und hatten keinen Zugang mehr zu lebensrettender Hilfe. Nun werden sie erneut angegriffen. Am 11. April haben die Rapid Support Forces (RSF) und verbündete bewaffnete Gruppen eine gross angelegte Bodenoffensive gestartet. Es gibt Berichte über Menschen, die in alle Richtungen fliehen, und über zahlreiche Opfer, deren Zahl wir allerdings noch nicht genau beziffern können.
Bereits im Februar sahen wir uns gezwungen, wegen der eskalierenden Sicherheitslage alle Aktivitäten von Ärzte ohne Grenzen im Vertriebenencamp einzustellen. Wiederholter Beschuss und eine verschärfte Belagerung hinderten uns daran, die Einrichtungen mit Nachschub zu versorgen und Mitarbeitende zu entsenden, was es uns verunmöglichte, weiter in Samsam zu arbeiten – trotz des immensen Bedarfs.
Das Kommunikationsnetz mit Samsam ist zusammengebrochen. Zu vielen der Menschen, die mit uns zusammengearbeitet haben und die nach der Schliessung unseres Spitals bei ihren Angehörigen im Samsam Camp geblieben sind, haben wir keinerlei Kontakt mehr. Wir sind erschüttert über das, was sie ertragen müssen, und machen uns grosse Sorgen um sie und die Hunderttausenden von Menschen, die in diesem Gebiet bereits am Rande des Überlebens stehen. Wir sind entsetzt über die Nachricht, dass neun Mitarbeiter von Relief International getötet wurden. Sie war die einzige internationale humanitäre Organisation, die noch in Samsam tätig war.
Am 12. und 13. April sah unser Team in Tawila mehr als 10 000 Menschen, die aus Samsam und den umliegenden Gebieten geflohen waren. Sie kamen in einem fortgeschrittenen Zustand von Dehydrierung, Erschöpfung und Stress an. Sie haben nichts als die Kleidung, die sie tragen, nichts zu essen und nichts zu trinken. Sie schlafen auf dem Boden unter Bäumen. Mehrere Menschen erzählten uns von zurückgelassenen Familienmitgliedern, die sie auf der Flucht aus den Augen verloren haben, die verletzt oder getötet wurden.
Ärzte ohne Grenzen hat am Ortseingang von Tawila einen Gesundheitsposten eingerichtet, um die Neuankommende zu empfangen, ihnen Wasser zu geben und sie medizinisch zu versorgen. Die kritischsten Fälle werden an das örtliche Spital überwiesen, das wir seit Oktober letzten Jahres unterstützen. Wir verteilten schnell, was wir zur Hand hatten: Decken, Moskitonetze und Eimer. Ausserdem untersuchen wir neu angekommene Kinder auf Mangelernährung, damit sie sofort therapeutische Nahrung erhalten und in unser Ernährungsprogramm aufgenommen werden können.»
Kontext
Der seit zwei Jahren andauernde Krieg zwischen den sudanesischen Streitkräften und den Rapid Support Forces nahm im Mai 2024 in Nord-Darfur eine schreckliche Wendung, als Belagerung und schwere Kämpfe zur täglichen tödlichen Bedrohung für die Menschen in El Fasher und den nahe gelegenen Vertriebenencamps wie Samsam wurden.
Gewalt und Hunger haben seitdem weiter zugenommen, und die Ernährungslage geriet ausser Kontrolle, wie mehrere Berichte von Ärzte ohne Grenzen zeigen. Obwohl das IPC-Famine Review-Komitee zur Überprüfung der Hungersituation im Camp Samsam im August letzten Jahres eine Hungersnot ausgerufen hatte, kam es nie zu der massiven humanitären Hilfe, die zur Eindämmung der Hungersnot erforderlich gewesen wäre. Da die ohnehin schon verzweifelte Situation eine neue kritische Schwelle erreicht, fordern wir die Kriegsparteien und alle einflussreichen Akteure auf, die Zivilbevölkerung zu verschonen und die Belagerung sowie alle Hindernisse aufzuheben, die die Menschen in Nord-Darfur von lebensrettender humanitärer Hilfe abhalten.
Yvonne Eckert