Tuberkulose: Zu viele Kinder werden weder getestet noch behandelt

Ärzte ohne Grenzen fordert Regierungen, Geber:innen und internationale Gesundheitsorganisationen dringend zum Handeln auf

Tuberkulose ist heilbar, auch bei Kindern. Allerdings wird die Krankheit bei vielen von ihnen nach wie vor nicht diagnostiziert und behandelt. Zahlreiche Länder scheitern bereits an der ersten Hürde: der Aktualisierung der nationalen Richtlinien gemäss Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Ein heute von Ärzte ohne Grenzen veröffentlichter Bericht weist daraufhin, dass Kinder mit Tuberkulose bei den weltweiten Bemühungen um die Ausrottung der Krankheit nach wie vor vernachlässigt werden. «TACTIC» (Test, Avoid, Cure TB in Children) untersuchte entsprechende Richtlinien in 14 Ländern* in denen die Krankheit stark verbreitet ist. Der Bericht zeigt, dass viele Länder bei der Anpassung ihrer Tuberkulose-Richtlinien an die neuesten Empfehlungen der WHO im Rückstand sind.

Ärzte ohne Grenzen fordert deshalb alle Länder auf, ihre nationalen Tuberkulose-Richtlinien entsprechend zu aktualisieren und die erforderlichen Ressourcen bereitzustellen. Zudem sollen die Richtlinien zeitnah umgesetzt werden und der Zugang zu Prävention wie auch Diagnose und Behandlung der Krankheit bei Kindern vereinfacht werden. Ein weiterer Appell geht an die internationalen Geber:innen und Hilfsorganisationen. Sie sollen die betroffenen Länder mit ausreichenden Mitteln unterstützen, damit diese ihre nationalen Bestrebungen zur Bekämpfung von Tuberkulose bei Kinder vorantreiben können.

Krankheit wird nur bei der Hälfte der Kinder diagnostiziert und behandelt
​Die WHO schätzt, dass jedes Jahr 1,25 Millionen Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre an Tuberkulose erkranken, die Krankheit aber nur bei der Hälfte diagnostiziert und behandelt wird. Auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse hat sie 2022 die Richtlinien für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Tuberkulose überarbeitet und entsprechende Empfehlungen abgegeben. So sollen u.a. Algorithmen verwendet werden. Auch wenn keine Laborbestätigung vorliegen, ermöglichen diese Diagnosen anhand von Symptomen. Zudem sollen bei der Prävention und Behandlung der Krankheit auch bei Kindern kurzzeitig orale Therapien zum Einsatz kommen.

Empfehlungen helfen, Fehldiagnosen und Todesfälle zu vermeiden
​«Seit wir mit der Umsetzung der WHO-Empfehlungen für Kinder im Distrikt Bombali begonnen haben, konnten wir viel mehr Kinder mit Tuberkulose finden und behandeln», sagt Joseph Sesey, Clinical Officer bei Ärzte ohne Grenzen in Makeni, Sierra Leone. «Die neuen Empfehlungen helfen uns, Fehldiagnosen zu vermeiden. Ärzt:innen, die bislang gezögert haben, bei Kindern ohne positive Testergebnisse mit einer Tuberkulose-Behandlung zu beginnen, fühlen sich jetzt sicherer. Sie setzen die WHO-Empfehlungen um und diagnostizieren Tuberkulose allein anhand klinischer Symptome. Ich stelle einen deutlichen Rückgang der Todesfälle bei Kindern mit Tuberkulose in vielen Gesundheitszentren fest.»

Nur ein Land hat Richtlinien vollständig angepasst
​Doch nur eines der 14 für den Bericht untersuchten Länder hat seine Richtlinien vollständig an die WHO-Empfehlungen angepasst. In sieben beträgt die Angleichung mehr als 80%, bei vier Ländern liegt sie unter 50%. Die grössten Versäumnisse liegen bei der Diagnose. Nur fünf Länder haben ihre Richtlinien so angepasst, dass bei Kindern eine Behandlung eingeleitet wird, wenn ihre Symptome stark auf eine Tuberkulose-Erkrankung hinweisen, auch wenn die bakteriologischen Tests negativ sind. Jedoch haben nur 4 dieser Länder die nötigen Mittel, um die Richtlinien tatsächlich umzusetzen.

Bürokratische Hürden und Finanzierungslücken
​Die WHO empfiehlt auch neue, kürzere, rein orale Therapieschemata für die Behandlung von arzneimittelresistenter und arzneimittelempfindlicher Tuberkulose bei Kindern. Deren Einführung geht jedoch nur schleppend voran.

«Es ist bedauerlich, dass kinderfreundliche Tuberkulose-Medikamente in vielen Ländern aufgrund bürokratischer Hürden und Finanzierungslücken immer noch nicht verfügbar sind», sagte Dr. Cathy Hewison, Leiterin der Tuberkulose-Arbeitsgruppe von Ärzte ohne Grenzen. «Erkrankte Kinder müssen daher zerkleinerte und bittere Medikamente schlucken, ohne dass die Dosierung an ihr Gewicht angepasst ist. Dadurch riskiert man Nebenwirkungen und Behandlungsversagen - das darf nicht mehr so weitergehen. Ärzte ohne Grenzen fordert Regierungen, Geber:innen und internationale Gesundheitsorganisationen dringend zum Handeln auf. ​ Kein Kind soll an einer vermeidbaren und behandelbaren Krankheit wie Tuberkulose sterben oder leiden. Mittel und Therapien, die wir haben, müssen jetzt erkrankte Kinder erreichen.»

*Afghanistan, Zentralafrikanische Republik, Demokratische Republik Kongo, Guinea, Indien, Mosambik, Niger, Nigeria, Pakistan, Philippinen, Sierra Leone, Somalia, Republik Südsudan, Uganda.

Tactic Policy Survey_Report.pdf 5 MB

 

Yvonne Eckert Medienverantwortliche, Médecins Sans Frontières (MSF)

 

 

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