Wenn Vergewaltigungen fast Alltag sind: Ärzte ohne Grenzen prangert sexualisierte Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik an

Wenn Vergewaltigungen fast Alltag sind: Ärzte ohne Grenzen prangert sexualisierte Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik an

Im Behandlungszentrum von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) in der Hauptstadt Bangui wurden seit Jahresbeginn bereits 1000 Opfer sexualisierter Gewalt versorgt, die Hälfte davon sind Minderjährige. Auch Männer sind betroffen. Die Täter sind bewaffnete Kämpfer, aber auch Bekannte oder Familienangehörige. Mit medizinischer und psychologischer Unterstützung schaffen es viele Betroffene, das Trauma zu verarbeiten, teilweise auch die Täter anzuzeigen. Doch die Strafverfolgung und die gesellschaftliche Unterstützung für die Opfer sind unzureichend.

“Nach dem Übergriff wollte ich mich umbringen”, sagt Charlotte, 18 (alle Namen von Betroffenen geändert). Ihr Onkel hatte sie vergewaltigt. Célestin wurde von einem Bekannten angegriffen, dem er eine Unterkunft für die Nacht angeboten hatte. Dies sind nur zwei von 6000 Überlebenden sexualisierter Gewalt, die Ärzte ohne Grenzen seit 2017 in der Hauptstadt Bangui behandelt hat. Nach Jahren des Bürgerkriegs ist sexualisierte Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik weit verbreitet, sowohl durch bewaffnete Gruppen als auch innerhalb des Bekanntenkreises und von Familien. Ein grosser Teil der behandelten Patient*innen kannte den Täter.

2020 eröffnete Ärzte ohne Grenzen das zentrale Behandlungszentrum “Togolo” (Stern) in Bangui. Mit Radiospots wird die Bevölkerung ermutigt, Hilfe zu suchen – möglichst innerhalb von 72 Stunden nach der Tat. Denn dann lassen sich Infektionen mit HIV, sexuell übertragbaren Krankheiten und unerwünschte Schwangerschaften noch durch Medikamente verhindern. “Ich wurde sehr gut versorgt”, berichtet Célestin. Die Behandlung ist kostenlos und vertraulich und umfasst neben der medizinischen und psychologischen Hilfe auch die Unterstützung durch Sozialarbeiter*innen. Denn viele Überlebende kämpfen zusätzlich mit einer Stigmatisierung durch die Familie. “Das Ziel ist es, Betroffene bei ihrem Heilungsprozess so weit zu begleiten, dass sie die Probleme überwinden können und genug Stärke entwickeln, um ihr Leben weiter zu führen”, sagt Axelle Franchomme, medizinische Leiterin des Projekts in Tongolo.

Manche schaffen es dann sogar, die Täter anzuzeigen. Doch viele haben kein Vertrauen in die Strafverfolgung. Auch Charlotte war gleich nach der Vergewaltigung durch ihren Onkel zur Polizei gegangen – ohne Erfolg. Auch die Schutzräume und -wohnungen für Überlebende sind unzureichend. Oft können die Betroffenen dort nur wenige Wochen bleiben. Mehr systematische Unterstützung durch staatliche Stellen und andere Organisationen ist daher dringend notwendig.

Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit 1997 in der Zentralafrikanischen Republik, mit derzeit 13 Projekten. In allen wird auch eine Behandlung für Überlebende sexualisierter Gewalt angeboten. Seit Dezember 2020 haben die bewaffneten Auseinandersetzungen in dem Land wieder zugenommen und damit auch die sexuellen Übergriffe durch bewaffnete Gruppen.

Ein Interview mit Gisa Kohler, stellvertretende Programmleiterin für Zentralafrika, ist auf Deutsch möglich.

Bilder: Adrienne Surprenant / Collectif ITEM

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Lukas Nef Communications Officer, Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF)
Melina Stavrinos Team Media/Events, Médecins Sans Frontières
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Über Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF)

MSF ist eine unabhängige medizinische Hilfsorganisation. MSF hilft Menschen in Not, Opfern von Naturkatastrophen sowie von bewaffneten Konflikten - ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, religiösen oder politischen Überzeugung oder ihres Geschlechts.


1999 erhielt MSF den Friedensnobelpreis.

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